Erschüttert

Weit weg sind wir von Japan.
Die Beben erreichen uns, die auf der gegenüberliegenden Seite der Erdkugel sind, auf eine andere Weise.
Wir alle sind von dem Geschehen im Pazifik getroffen. Getroffen und mitfühlend mit den Menschen dort.
Das Szenario einer in kürzester Zeit ausgelöschten Menschheit und zerstörtem Planeten hängt unausgesprochen gefürchtet über uns. Was für eine Kraft, eine unbenennbare. Größenverhältnisse wie in einem Illusionsbild durcheinander gewirbelt; Halden von Autos, wie Figuren im Glücksklee an Neujahr, Häuser - sprichwörtliche Streichholzschachteln. Ich sitze vor dem Fernseher und habe das Gefühl, mit zwei Fingern die klein erscheinenden Schiefer aus dem Wasser ziehen zu können. Dass es sich dabei um Gewichte handelt, die meine natürliche menschlicher Kraft bei Weitem übersteigen, denke ich nicht. Ich wundere mich.
Die Realität lässt sich nicht mehr einschätzen. Vom Menschen geschaffene Einrichtung hat Eigendynamik entwickelt, ihrem Wesen in Gänze gehorchend.
Nichts läuft falsch. Weder die lebende Erdkruste, noch die sich konzentriert spaltenden Kerne, noch das überbordende Wasser "tun" etwas unnatürliches. Mit den AKWs haben wir etwas geschaffen - oder uns etwas zugetraut - , was letztendlich unsere Macht und Vorstellungskraft übersteigt.
Vielleicht jetzt ein Zeichen deutlich genug, wider dem seit der Aufklärung herrschenden Anthropozentrismus. Obzwar wir bereits im Alten Testament dazu aufgerufen werden, uns die Erde untertan zu machen, auf das uns die Fische in den Meeren und die Vögel am Himmel dienen. Dass bei diesen Sätzen von einer hellsichtigen und wohlwollenden Verantwortung ausgegangen wurde, haben wir ausgeblendet. Oder nicht gewusst?
Weder können wir die Erde selbst beherrschen, noch die Naturgesetze, die wir uns als intelligente, analytisch begabte Wesen zu Diensten gefügig machen.
Ob es sich an die Grenzen des Machbaren zu gehen lohnt? Bei all der Berichterstattung durch Medien, die uns sowohl das Geschehen im Erdinneren als auch in AKWs erklären - im Sinne von: erklärter Schrecken ist halber Schrecken - vermisse ich explizite Stellungnahmen von Ethikern, Philosophen und Theologen. Wären ihre Stimmen unpassend? Wäre es so falsch, wenn sich öffentliche Anteilnahme auch von dieser Seite an die Erdbevölkerung, insbesondere an die Betroffenen vor Ort richten würde? Oder gar unseriös, Standpunkte des Geistigen in einer solchen Situation zu vertreten? Ich meine keinen erhoben Zeigefinger, sondern einer Art geistige Führung angesichts eines solchen Kataklysmus, dessen Ausmasse noch gar nicht absehbar sind. Warum tun wir das nicht? Sind wir nicht evident am Ende unserer menschlichen Macht angekommen? Ich meine ja.

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